Lucas Schönborn
Smartlaw - das erhoffte Grundsatzurteil?
Der Paukenschlag aus Karlsruhe. Es stellt keine unzulässige Rechtsdienstleistung dar, mittels eines Frage und Antwort-Dialogs Verträge zu erstellen. Dies hat der BGH nun in einem wegweisenden Urteil entschieden und somit das Urteil des OLG Köln vom 19. Juni 2020 (Urteil vom 19. Juni 2020 - 6 U 263/19) bestätigt. Wolters Kluwer betreibt seit geraumer Zeit den Vertragsgenerator Smartlaw. Durch verschiedenen Fragen (überwiegend multiple choice) werden Textbausteine zu einem Vertragsentwurf zusammengefügt. Das Angebot richtet sich sowohl an Unternehmen als auch Privatpersonen. Mithilfe des Tools können beispielsweise Patientenverfügungen, Miet-, Arbeits- oder Gesellschaftervertragsentwürfe erstellt werden, die jedoch bezüglich ihrer Komplexität und Individualität keiner maßgeschneiderten Formulierung bedürfen, sondern Standardklauseln den Bedürfnissen hinreichend Rechnung tragen.
Anders als die Anwaltskammer Hamburg sah Wolters Kluwer in dem Produkt keine Rechtsdienstleistung im Sinne des § 2 Abs. 1 RDG, die eine Prüfung des rechtlichen Einzelfalls erfordert. Der Vertragsgenerator kennt die Einzelfragen und den individuellen Fall nicht. Er stellt lediglich Textbausteine zur Verfügung, die sich der Anwender nach einem Frage-Antwort Schema beliebig zusammenstellen kann. Höchstrichterlich wurde nun die Rechtsauffassung von Wolters Kluwer bestätigt, wobei das LG Köln (Urteil vom 08. Oktober 2019 - 33 O 35/19) im Jahr 2019 noch einen Verstoß gegen das RDG festgestellt hatte. Dies sah das OLG Köln im Berufungsverfahren anders. Nach der Argumentation des OLG besteht die Tätigkeit hier weniger in dem Erbringen einer Rechtsdienstleistung als dem Bereitstellen der Software. Wird diese bereitgestellt und von Anwendern genutzt, sei dies Wolters Kluwer nicht zuzurechnen. Darüber hinaus lag in den Augen des OLG auch keine Einzelfallprüfung vor, die für das Vorliegen einer Rechtsdienstleistung gem § 2 Abs. 1 RDG erforderlich ist.
Dem hat sich der BGH am 09. September 2021 angeschlossen und entschieden, dass eine Prüfung der individuellen Verhältnisse nicht vorliegt.
Laut dem BGH "wird sie nicht in einer konkreten Angelegenheit des Nutzers tätig. Sie hat die Software auf der Grundlage von denkbaren typischen Sachverhaltskonstellationen programmiert, zu denen sie im Vorgriff auf die vorgegebenen Antworten standardisierte Vertragsklauseln entwickelt hat. Die über den üblichen Fall hinausgehenden individuellen Verhältnisse des Anwenders finden - ähnlich wie bei einem Formularhandbuch - bei der Erstellung des Vertragsdokuments keine Berücksichtigung. Der Nutzer erwartet daher auch keine rechtliche Prüfung seines konkreten Falls."
Klargestellt wurde nun in der schriftlichen Begründung, dass es sich bei der Tätigkeit von Wolters Kluwer um eine Rechtsdienstleistung handelt. Vor allem der Sinn und Zweck des RDG, der Schutz des Verbrauchers vor unqualifizierter Rechtsberatung, erlaubt ein solches extensives Begriffsverständnis. Ferner handelt es sich bei der Bereitstellung zwar um eine Tätigkeit des Informationsdienstleistern, jedoch wird Wolters Kluwer nicht in konkret fremder Angelegenheit tätig. Ein solches konkretes Tätigwerden wird auch nicht dadurch begründet, dass durch Eingabe von Informationen über einem realen Sachverhalt Textbausteine zusammengesetzt werden, die den Bedürfnissen des Verwenders Rechnung tragen. Als Vergleich wird insbesondere das Formularhandbuch herangezogen. Dieses ist ebenfalls nicht auf einen konkreten Sachverhalt ausgerichtet.
Die Anwaltskammer Hamburg unterstrich die Befürchtung, dass der effektive Schutz des RDG vor unqualifizierter Rechtsberatung abnimmt. Sie verweist darauf, dass es für die Ausarbeitung komplexer Verträge unerlässlich sei, dass diese individuell qualifiziert ausgearbeitet werden. Zwar ist das Argument der RAK - des Schutzes vor unqualifizierter Rechtsberatung - nicht ganz von der Hand zu weisen. Im Kern wird hier aber übersehen, an welche Anwender sich das Angebot richtet. Die wenigsten Nutzer von Smartlaw werden statt der Konsultation einens Anwalts das Tool verwendet haben. Vielmehr richtet sich das Angebot an jene Kunden, die sich die Verträge entweder standardisiert online heruntergeladen oder womöglich sogar selbst erstellt haben, gänzlich ohne fachliche Expertise. Das Urteil dürfte also im Ergebnis nicht dazu führen, dass weniger Verträge durch Juristen erstellt werden. Vielmehr werden Laien vor dem wagemutigen Experiment bewahrt, eigenhändig Verträge zu erstellen oder lediglich online bereitgestellte Vordrucke zu benutzen. Allein unterhalb der Beratungsschwelle, ab der ein Anwalt in der Regel aufgesucht wird, kann sich das Urteil auswirken. Dies allgemeine Entwicklung kann man bei vielen Legal Tech-Angeboten beobachten. So mag es durchaus vorkommen, dass ein Algorithmus weniger einzelfallspezifisch überprüfen kann, ob ein Verbraucher z.B. Ansprüche aus der Fluggastrichtlinie gegen die Fluggesellschaft geltend machen kann. Dies ist jedoch nicht der Punkt. Ohne solche Angebote hätten die Verbraucher rationales Desinteresse gezeigt und nicht einmal die Möglichkeit wahrgenommen, den Fall (wenn auch automatisiert) überprüfen zu lassen. Der Streitwert wäre für anwaltliche Beratung und anschließende gerichtliche Durchsetzung schlichtweg zu gering. Im Ergebnis wirken sich Legal Tech-Angebote für Verbraucher also durchaus positiv aus. Statt von seinen Rechten gar keinen Gebrauch zu machen, geschieht dies nun automatisiert.
Der BGH hat nun die Tür für technische Dienstleistungen im Rechtssektor erneut (nach dem wenigermiete-Urteil) einen Spalt weiter geöffnet. Grundsätzliche Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit technischer Dienstleistungen mit dem RDG wurden jedoch nicht aufgestellt. Insbesondere wurde betont, dass keine konkrete Einzelfallprüfung vorliegt und ein solcher Generator letztlich nichts anderes ist als ein Formularhandbuch. Ob nun ein Generator, der statt des ausschließlichen Zusammenfügens von Textbausteinen durch KI (einfachste) Verträge zusammenstellt, eine mit dem RDG zu vereinbarende Dienstleistung darstellt, steht weiterhin in den Sternen. Spannend bleibt es in jedem Fall abzuwarten, ob der Gesetzgeber erneut eine Reform erlässt und das RDG als Antwort auf das neue Urteil anpasst. Schließlich ist es weniger eine Aufgabe der Rechtsprechung als des Gesetzgebers, Grundsätze aufzustellen, welche technischen Dienstleistungen noch möglich sind und wo die Grenzen liegen.