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  • AutorenbildLucas Schönborn

Verändert das Virus die Justiz?


Corona hat ganz Europa, nein, die ganze Welt fest im Griff. In einem Ausmaß, das uns vor wenigen Wochen als freiheitliche Gesellschaft noch allenfalls als eine düstere Dystopie erschien, werden nun Ausgangssperren, Kontaktverbote und Ladenschließungen verhängt.

Wie reagiert der Justizapparat auf die Krise?

Die Justiz bleibt leider von der Krise auch nicht verschont. Nur noch dringende Termine können stattfinden und die strengen Auflagen für Besucher sind auch nicht von der Hand zu weisen (wobei es teilweise schon so weit geht, dass wohl ein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz vorliegt. Auch wenn bspw. das Justizministerium Schleswig-Holsteins dargelegt hat, dass bei einem Stattfinden des Termins der Öffentlichkeitsgrundsatz streng bewahrt werden muss. Ob in anderen Fällen § 172 GVG herangezogen werden kann, der einen Ausschluss der Öffentlichkeit in Fällen vorsieht, in denen eine Gefahr für Leib und Leben eines Zeugen oder einer anderen Person vorliegt, dürfte mehr als streitig sein). Da die letztliche Entscheidung jedoch dem zuständigen Richter obliegt, dürfte auch hier mit einem ordnungspolitischen Flickenteppich zu rechnen sein. Ungeachtet der Problematik, dass auch die Wahrnehmung eines Termins beim Anwalt Mandanten in diversen Fällen erheblichen Schwierigkeiten bereiten dürfte. Auch sieht es zurzeit nicht danach aus, als wollen die Justizministerien oder Gerichte Gebrauch von § 245 ZPO machen, der eine Unterbrechung im Kriegsfall oder einem ähnlichen Ereignis vorsieht – ein utlima ratio-Instrument. Zwar hat der Bundestag inzwischen ein Corona-Maßnahmengesetz verabschiedet hat, das im Strafverfahrensrecht eine Norm einführt, dass die Unterbrechungsfrist gem. § 229 Abs. 1 S. 2 StPO für zwei Monate gehemmt werden. Für Zivilsachen bleibt die Problematik jedoch bestehen.

(Zwangs-)Abkehr vom physischen Gerichtsverfahren?

Kurzum: zurzeit ist es noch (?) unklar, welche Termine stattfinden, ob Gerichte geschlossen werden, wie Mandaten den Termin beim Anwalt wahrnehmen können etc. Findet ein Termin statt, ist mit erheblichen Folgekomplikationen zu rechnen. Ist es jemandem zuzumuten, der bereits im Rentenalter ist und somit zur Risikogruppe zählt, einen Termin vor Gericht wahrzunehmen? Ist es überhaupt irgendwem zuzumuten, auch wenn man nicht zur Risikogruppe gehört? Ein großes Chaos also. Dazu kommen Nachrichten, die Richter wenig erfreuen dürften. Beispielsweise hat laut dpa ein Anwalt den zuständigen Richter wegen versuchter Körperverletzung angezeigt, da dieser ein Verfahren hat stattfinden lassen.

Nun könnte man an ein bekanntes Zitat eines nicht namentlich genannten Spitzenpolitikers aus dem letzten Wahlkampf denken, von dem ein altes Video aufgetaucht ist, wie dieser voller jugendlicher Naivität als Jungunternehmer den denkwürdigen Satz „Probleme sind nur dornige Chancen“ gesagt hat. Ist die ganze Krise also (trotz ihrer enormen Tragik, auf die wir alle sehr gerne verzichten könnten) eine große Chance für die Justiz, digitaler zu arbeiten?

Ein sehr zu begrüßender Vorstoß aus der deutschen Legal Tech-Szene wurde vor wenigen Wochen publik. Einige Vertreter der Szene haben sich gemeinschaftlich in einem offenen Brief an die Justizminister der Länder sowie die Präsidenten der Amts- und Landgerichte gewendet, um sie dazu zu bewegen, digitale Infrastruktur bereitzustellen, damit Verhandlungen in Zivilsachen nun digital stattfinden können (was gem. § 128a ZPO, der 2013 eingeführt wurde, explizit zulässig ist). Diese Krise verdeutlicht einmal mehr, dass auch die Justiz Möglichkeiten nutzen sollte, die sich durch die Digitalisierung eröffnen. Nur durch die virtuelle Verhandlung können Gerichtsverfahren zu Zeiten der Gesundheitskrise zuverlässig im gewohnten Umfang stattfinden, damit die Rechtspflege nicht zum Erliegen kommt und gleichzeitig die Gesundheit der Beteiligten nicht in Mitleidenschaft gezogen wird.

Voraussetzung ist jedoch, dass die Justizministerien die Gerichte mit der entsprechenden Hard- und Software ausstatten, damit überhaupt technologisch die Möglichkeit besteht, Verhandlungen virtuell stattfinden zu lassen. Dieser Schritt durch die zuständigen Behörden wird nun unausweichlich, sofern man die Justiz nicht vollkommen zum Erliegen bringen möchte.

Chance für ein nachhaltiges Update?

So ist damit zu rechnen (jedenfalls sollte es so sein), dass für die Zeit der Krise Gerichtsverhandlungen nun größtenteils von der physischen Anwesenheit in den virtuellen Raum verschoben werden. Spannend bleibt es zu sehen, wie sich die digitale Justiz nach dem Überwinden der Gesundheitskrise entwickelt. Wird sich das virtuelle Gerichtsverfahren dauerhaft etablieren oder bleibt es eine vorübergehende Erscheinung für Zeiten einer beispiellosen Krise, die genauso schnell wieder vergessen wird wie sie in Erscheinung getreten ist? Grundsätzlich erscheint es utopisch anzunehmen, dass es nach der Krise eine ausschließlich digitale Justiz geben wird. Schließlich hat ein Gerichtssaal auch eine symbolische Funktion und durch die Richterbank wird der Anspruch des Staates verkörpert, alleiniger Gewaltenträger zu sein. Diese visuelle Komponente der Gewaltenausübung ist nicht zu vernachlässigen. Darüber hinaus würden sich viele unwohl fühlen, wenn dauerhaft Verhandlungen nur noch digital und nicht mehr physisch durchgeführt werden.


Was jedoch nicht heißt, dass sich neben den klassischen Gerichten keine digitalen (Alternativ-)Lösungen etablieren werden. Vor allem für Gerichtsverfahren, die sich auf kleinere Streitwerte beziehen und bei denen nicht die Weichen für ein Menschenleben gestellt werden, wäre eine solche effizientere digitale Lösung wünschenswert. Dass es diese Tendenz gibt, kann man auch an dem sukzessiven Etablieren von Online-Streitbeilegungsplattformen beobachten. Ein Quantensprung wäre es, würde der Staat solche (richterlich überwachten) Plattformen anbieten, um weiterhin seinem Anspruch nach Gewaltenträgerschaft Rechnung zu tragen. Andernfalls werden Verbraucher schrittweise mehr von alternativen Angeboten Gebrauch machen. Dass diese Lösungen jedoch nur für kleinere ähnlich gelagerte Streitigkeiten infrage kommen, wie beispielsweise im Verbraucherschutzrecht, dürfte auf der Hand liegen. Digitale Verhandlungen bei individuellen Fällen mit hohen Streitwerten dürften nur die Ausnahme bleiben und nicht Regel werden.

Was kann und wird diese Krise also ändern?

In erster Linie wird sich in den nächsten Wochen zeigen, ob Gerichte grundsätzlich fast ausschließlich digital arbeiten können oder es in Zeiten, in denen jede physische Interaktion zum Gesundheitsrisiko wird, zum Stillstand kommt. Ob sich auch infolge der Krise bei Gerichten grundsätzlich etwas schlagartig ändert, dürfte zweifelhaft sein. Anders hingegen sieht es bei Anwaltskanzleien aus, was jedoch ein anderes Thema ist. Zu hoffen bleibt jedenfalls, dass vor allem in Fällen mit geringen Streitwerten sich die Tendenzen verstärken, diese ins Digitale zu verschieben, um diese effizienter und kostengünstiger beilegen zu können.

Abschließend sollte man jedoch trotz aller Negativität, die das Weltgeschehen und unseren Alltag zurzeit prägen, die Zuversicht nicht verlieren:


Andrà tutto bene – alles wird gut.

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