Lucas Schönborn
Die Arbeit der Anwaltskanzlei von morgen
Aktualisiert: 9. Sept. 2020
Ein Raum, voll mit Computern. Kein Mensch zu sehen. Nur vereinzelt Informatiker, die dafür zuständig sind, dass die Computer ordnungsgemäß funktionieren. Ist der Prozess der Programmierung, für den nur Anwältinnen und Anwälte infrage kommen, die gleichzeitig auch Informatik studiert haben, einmal abgeschlossen, braucht es nur noch sehr wenig menschliche Arbeitskraft. Studierte Juristen – bis auf wenige Ausnahmen – arbeitslos.
Ein Bild, das von manchen Kritikern der Digitalisierung und Automatisierung gezeichnet wird, das so mit aller Wahrscheinlichkeit allerdings nicht zutrifft. Auch wenn sich in Zukunft der Wettbewerb grundsätzlich verschärfen wird und Anwältinnen und Anwälte sich verstärkt mit Technologie auseinandersetzen müssen (wie in jedem anderen Beruf auch), droht keine flächendeckende Arbeitslosigkeit.
Die Anwaltskanzlei von morgen wird mehr sein als nur ein „Maschinenraum“. Vermutlich wird sie sogar der heutigen Kanzlei näher sein als viele glauben. Denn auch wenn im Gegensatz zum Richter die Anwaltschaft nicht im Grundgesetz verankert sind, braucht auch die Rechtsberatung und -vertretung Menschen. Die Allerwenigsten dürften sich dabei wohlfühlen, sich bei lebensprägenden Entscheidungen einem Chatbot anzuvertrauen, anstatt sich persönlich mit der Anwältin oder dem Anwalt des Vertrauens auszutauschen. Algorithmen dürfen dabei nie mehr sein als ein Hilfswerkzeug. Würde der Mensch die Hoheit über die Rechtspflege aufgeben, gäbe er – etwas pathetisch gesagt – das eigene Schicksal aus den Händen. Eine solche Dystopie, bei der Richter allenfalls als Kontrollinstanz KI-basierter Entscheidung agieren und die Anwaltschaft gar nicht mehr gefragt ist, dürfte den Allerwenigsten Freude bereiten. Zumal ein solches Szenario auch aus technischer Perspektive in absehbarer Zeit bestenfalls fernliegend ist.
Wenn aber der Mensch die Hoheit über das Recht behalten will und es auch in Zukunft noch Anwaltskanzleien gibt, stellt sich konsequenterweise die Frage: Was wird sich denn ändern und wie werden Kanzleien aussehen? Grundsätzlich wird die Anwaltskanzlei der Zukunft – wie bereits erwähnt – technologieaffiner arbeiten müssen und neue Lösungen abseits des Diktiergerätes implementieren.
Veränderungen der Aufgaben
So werden beispielsweise die Anwältin und der Anwalt von morgen nicht mehr damit befasst sein, Verträge oder AGBs manuell zu erstellen. Diese werden größtenteils einfach automatisiert mit der entsprechenden Software erstellt – eine Sache von wenigen Minuten und nicht wie bisher mehrerer Stunden. Dies führt dazu, dass zum einen effizienter und zum anderen dementsprechend auch kostengünstiger gearbeitet werden kann – ganz zum Wohlgefallen des Mandanten. Es wird mehr Zeiten bleiben, um sich auf das anwaltliche Kerngeschäft zu besinnen: Prozessstrategien zu entwickeln und komplexe juristische Fragestellungen zu bearbeiten.
Auch Großkanzleien sollten Legal Tech als Chance und nicht als Bedrohung begreifen. Für das Erstellen einer Due Diligence werden künftig nicht mehr unzählige Verträge gelesen und eingeschätzt werden müssen, was unzähligen First Year Associates die Nerven kostet. Vielmehr werden die Daten handlich aufbereitet, sodass der Algorithmus diese analysieren kann. Zwar müssen Vertragsklauseln, die nicht zweifelsfrei eingeschätzt werden können, nach wie vor menschlich überprüft und eingeordnet werden, der Arbeitsumfang dürfte jedoch deutlich an Gewicht verlieren.
Verschärfter Wettbewerb
Auf der einen Seite wird also die Arbeit der Anwältin und des Anwalts von morgen weniger aus Routinearbeiten und administrativen Aufgaben bestehen, sondern vielmehr aus den Kernaufgaben, für die man auch zwei juristische Examina absolviert hat. Allerdings wird es nicht jedem dabei so gehen. Jede Entwicklung hat auch ihre Schattenseiten. Manche werden es deutlich schwieriger haben. Vor allem der Einzelanwalt auf dem Land mit einem geringeren Spezialisierungsgrad, der viel mit Routineaufgaben beschäftigt ist, beispielsweise dem Erstellen von AGBs. Dies sind typischerweise Tätigkeiten, die bereits heute durch einen Algorithmus erledigt werden können. So treten schon heutzutage Unternehmen wie beispielsweise Wenigermiete.de (inzwischen Conny) in Konkurrenz mit kleinen Kanzleien, die viel mit Mietrecht befasst sind. Der Vorteil im Wettbewerb ist, dass solche Anbieter weitaus effizienter und kostengünstiger arbeiten können als der Einmannanwalt. Auch trägt der Mandant kein Prozesskostenrisiko und muss lediglich auf einen geringen Anteil seiner Forderung als Provision für das Unternehmen verzichten. Ein anderes Beispiel ist Flightright, das sich um Fluggastentschädigungen kümmert – ebenfalls deutlich kostengünstiger als es ein Anwalt kann.
Dies ist jedoch kein Grund, in Angst und Schrecken zu verfallen. Algorithmen können allenfalls Fälle lösen, die sehr ähnlich gelagert sind. Ein klassisches Anwendungsfeld ist eben das Verbraucherrecht. Schließlich sind sich Fälle von Flugverspätungen oder überhöhten Mietforderungen meist sehr ähnlich. Die Mandate von Kanzleien, die beispielsweise auf Familien- oder markenrechtliche Streitigkeiten spezialisiert sind, können hingegen nicht ohne weiteres automatisiert werden. In beiden Fällen kommt es sehr auf eine Betrachtung des Einzelfalles und auf Abwägungsfragen an. Insbesondere das Familienrecht ist sehr von den individuell Beteiligten abhängig und kann die Weichen für ein Menschenleben stellen. Das Markenrecht hingegen ist das Fundament von Unternehmen. Globale Konzerne wie Coca-Cola besitzen häufig kein wertvolleres Asset als die Marke. Niemand würde sich dabei wohl fühlen, diesbezügliche Rechtsfragen einem Algorithmus anzuvertrauen, anstatt den persönlichen Austausch zu suchen – unabhängig davon, dass dies technisch in absehbarer Zeit unmöglich ist, da Algorithmen keine Abwägungsfragen oder Gesamtbetrachtungen vornehmen können.
Fazit
Für die meisten Anwältinnen und Anwälte bietet die Digitalisierung Chancen. Für viele birgt sie aber auch Risiken, etwa dass manche Mandate, die heute essentiell für die Rentabilität der Kanzlei sind, künftig automatisiert abgewickelt werden können. Grundsätzlich muss die Anwaltschaft nicht befürchten, in Zukunft flächendeckend arbeitslos zu sein. Für einige Sozietäten wird sich der Wettbewerb jedoch zu eigenen Ungunsten verschieben. Ob es nun Legal Tech-Unternehmen sind oder andere Kanzleien, die durch den zielgerichteten Einsatz von Technologie deutlich effizienter arbeiten können, ist dabei zweitrangig.
Wenn Kanzleien sich hinreichend spezialisieren, sich Gedanken über den Einsatz von Technologie und die Vereinfachung von Prozessen machen, sowie über die Möglichkeit, effizienter und auch mandantenfreundlicher zu arbeiten, hat man nicht viel zu befürchten. Dabei ist es auch nicht notwendig, dass Anwältinnen oder Anwälte coden können. Sofern man technologische Entwicklungen verfolgt, diese in den Kanzleialltag implementiert, ist dies völlig ausreichend. Auch muss nicht jede Kanzlei dabei eine Vorreiterrolle einnehmen. Man sollte nur nicht in Rückstand geraten. Schaden kann eine erhöhte Technologieaffinität demnach nicht.